Orthopädische Hilfsmittel werden intelligent

Im Labor für Biomechanik und Biomechatronik der Lübecker Uni-Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie entwickeln Ärzte und Ingenieure in Zusammenarbeit mit Medizintechnik-Herstellern neuartige orthopädisch-technische Hilfsmittel. Die „intelligenten“ Korrekturhilfen sollen zukünftig den Heilungsverlauf etwa nach Knochenbrüchen oder Kreuzband-Operationen individuell optimieren. Die UKSH-Biomechatronik-Experten beteiligen sich mit ihrer Expertise und Erfahrung an der „Industrie-in-Klinik-Plattform Lübeck“.

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Robert Wendlandt (links, mit Smartphone zur Auswertung der Sensor-Daten) und Arndt P. Schulz mit dem „fühlenden“ Orthesen-Stiefel (und einem „intelligenten“ Sensor-Chip auf dem Monitor)

„Biomechatronik“ verbindet als Wissenschaft die Bereiche Biologie, Mechanik und Elektronik. Insbesondere sucht der medizinisch orientierte Biomechatroniker in dieser Verbindung dreier Wissenswelten nach Anwendungen, die dem Menschen konkret helfen. Heraus kommen dann unter anderem „intelligente“ orthopädische Systeme. Ihre „Intelligenz“ besteht darin, dass sie neben der rein mechanischen Funktionalität – zum Beispiel einer Knochenverbindungsplatte – auch über Sensoren und Aktoren verfügen, die mit bestimmten Auswertungs- und Steuerungsalgorithmen zu einem System integriert werden, das den Heilungsprozess mit sinnvollen Einstellungen und Vorschlägen optimieren hilft.

„Wir Orthopäden suchen immer nach der biomechanischen Optimierung, nach dem bestmöglichen Vorgehen bei der Unterstützung des Heilungsprozesses des einzelnen Patienten. Die intelligenten Systeme können zukünftig dabei helfen, ob von außen angewendet oder fest implantiert“, erläutert Professor Dr. Arndt P. Schulz das Ziel dieser Entwicklungsarbeit. Schulz leitet den Forschungsbereich der Klinik für Orthopädie. Sein Laborleiter Dr. Robert Wendlandt ergänzt: „Die Frage ist zu jedem Zeitpunkt: Welche Belastungseinstellung fördert jetzt am besten die Wiederherstellung, also beispielsweise das Zusammenwachsen des gebrochenen Knochens?“

Für genau diesen Beispielfall haben die Lübecker Biomechatroniker bereits ein von außen am Knochen zu fixierendes Haltesystem mit Kraftsensoren, kleinen Motoren und intelligenter Steuerung gebaut, das im Prinzip die optimalen Behandlungseinstellungen über Wochen und Monate vollautomatisch vornehmen kann – ganz ohne die sonst mehrmals täglich nötigen manuellen Einstellarbeiten am traditionellen Fixateursystem. Zur Kontrolle können die Kraft-Messdaten über eine Mobil-App oder das Internet dem behandelnden Arzt zur Verfügung gestellt werden. Ähnlich funktioniert die Stiefel-Orthese (Bild), die aktuell entwickelt wird. „Der Schuh, der in der Sohle fühlen kann, liefert uns direkte, harte Infos über den Belastungszustand am Ort des Heilungsgeschehens und über das tatsächliche Auftritt-Verhalten des Patienten nach der Fuß-OP, also nicht nur indirekte Eindrücke durch bildgebende Verfahren“, erklärt Professor Schulz den Vorteil solcher Systeme für Arzt, Patient und Physiotherapeut. „Den Zusammenhang solcher Daten mit dem subjektiven Schmerzempfinden der Patienten untersuchen wir gerade in einer umfangreichen klinischen Studie.“

Ähnliche Systeme gibt es bald auch als Implantate. „Wir haben den Prototypen eines Sensors entwickelt, der zum Beispiel nach einer Kreuzband-Operation fest implantiert werden kann“, erklärt Robert Wendlandt. Der Sensor misst ständig verschiedene Parameter, insbesondere Längenveränderungen und Kraft. „Die Daten werden dann über Bluetooth an eine momentan entwickelte Unterstützungs-App auf dem Smartphone gesendet, die konkrete Verhaltensratschläge etwa zur aktuellen Belastungsgrenze gibt, wie man das von den modischen Fitness-Trackern kennt“, so der Ingenieur.

Das Lübecker Labor ist für die Entwicklungszusammenarbeit mit Herstellern von orthopädischen Hilfsmitteln komplett ausgestattet, sodass hier auch die Eigenherstellung von Prototypen einschließlich der gesamten Mikroelektronik möglich ist. Arndt-Peter Schulz betont darüber hinaus: „Als Entwicklungspartner bieten wir den Herstellern neben langjähriger Erfahrung und umfassender Kompetenz auch den Zugang zu relevanten Klinikern und Test-Anwendern vor Ort – und vor allem eine tiefgehende Beratung mit dem gemeinsamen Ziel einer anwendernahen Produktentwicklung und Produktevaluation.“ Nicht selten entständen auf diese Weise gemeinsame Publikationen wie Projekt- oder Testberichte, Usability-Analysen und andere, auch zulassungs- und vermarktungsrelevante Dokumentationen sowie Postmarket- und Nachuntersuchungsstudien.

(rwe)