Archiv für den Monat: September 2015

Bessere Daten in der Medizin: Fraunhofer MEVIS entwickelt Verfahren zur Berechnung, Visualisierung und Analyse medizinischer Bilddaten

Bilder spielen in der modernen, computergestützten Medizin eine zentrale Rolle in Diagnose und Therapie. Auf dem Lübecker Campus verfolgt Fraunhofer MEVIS das Ziel, die in den Bilddaten enthaltene Information optimal verfügbar zu machen. Fraunhofer MEVIS engagiert sich zudem als Entwicklungspartner für Hersteller im Projekt „Industrie-in-Klinik-Plattform Lübeck“.

modersitzki-schenk

Professor Dr. Jan Modersitzki und sein Team arbeiten mit medizinischen Bilddaten (Foto: Mark Schenk, Fraunhofer MEVIS)

Die Visualisierung und Analyse von medizinischen Daten ist eine softwaretechnisch hoch komplexe Angelegenheit. Schon die Errechnung eines Bildes zum Beispiel aus den elektrischen Signalen, die bestimmte Atomkerne des untersuchten Körpergewebes unter dem Einfluss starker Magnetfelder im Magnetresonanztomographen senden, erscheint dem Laien als kleines Wunder. In der medizinischen Praxis kommen noch viele weitere Bildmodalitäten zum Einsatz, zum Beispiel Röntgenbilder, Computertomographie-Schnittbilder, nuklearmedizinische Bilder oder auch die Bilder der kleinen Endoskopie-Kameras. Hier setzt auch die besondere Kompetenz des Lübecker Teams von Fraunhofer MEVIS an: Sie sind international ausgewiesene Experten für die sogenannte „Bildregistrierung“. Das bedeutet unter anderem: Die von ihnen entwickelten und umgesetzten Verfahren können schneller, besser und unkomplizierter als andere dafür sorgen, dass verbindende Korrespondenzen von Organen und Strukturen unterschiedlichster Bildmodalitäten hergestellt werden. Dadurch können zum Beispiel Bilder verschiedener Geräte und Formate zu einem einheitlichen Gesamtbild zusammengefügt werden oder zeitliche Änderungen je nach Bedarf erkannt oder kompensiert werden.

„Aber natürlich stellt sich Fraunhofer MEVIS dem Anspruch, optimale Lösungen für alle klinische Fragen im gesamten Umfeld medizinischer Bilddaten anzubieten“, betont Jan Modersitzki, der den Lübecker Standort leitet und zudem Professor für Mathematik an der Lübecker Universität ist. „Wir adressieren zum einen die Technologien wie Bildakquise, Enhancement, Segmentierung, Registrierung oder Visualisierung, zum anderen aber auch deren Umsetzung in die klinischen Bereiche wie Radiologie, Strahlentherapie oder Nuklearmedizin.“ Mit solchen Methoden ist laut Modersitzki beispielsweise sogar eine Bewertung der Lungenfunktion eines Patienten möglich, die in den Bildern allein nicht erkennbar ist.

Die Entwicklungsanstrengungen der Experten zielen auf einen konkreten Nutzen in der klinischen Anwendungspraxis. „Über beste Informationen in kürzester Zeit verfügen zu können, ist für alle Beteiligten von Vorteil“, fasst Modersitzki die Zielstellung zusammen. „Der Patient erhält am Ende der Kette die bestmögliche Diagnose oder Therapie, der Arzt die optimale technische Unterstützung. Für Software- und Gerätehersteller steht hohe Qualität bei hoher Verarbeitungsgeschwindigkeit, die Anforderungen des Medizinproduktgesetzes und die Zufriedenheit der Kunden im Vordergrund. Für die Kliniken geht es um Effizienz und Effektivität.“ Die zugrunde liegende Software-Plattform „MeVisLab“ sowie die spezifischen Applikationen sind Eigenentwicklungen von Fraunhofer MEVIS. Damit kann man flexibel auf unterschiedliche Anforderungen, zum Beispiel auch solche der verfügbaren Hardware, reagieren, so Modersitzki. „Das ist bei so komplexen Ansprüchen und enormen Datenmengen, wie wir sie bereits jetzt haben und zukünftig in noch viel größerem Umfang erwarten, nicht einfach. Auch deshalb entwickeln wir Lösungen für das Management und die automatisierte Analyse großer Datenmengen, wie sie zum Beispiel in der Patienten-individualisierten Therapie zum Tragen kommen.“

Bereits jetzt sind die Lösungen von Fraunhofer MEVIS in verschiedenen klinischen Bereichen im Einsatz. Beispielsweise in der Leberchirurgie unterstützt Fraunhofer MEVIS bei der Entdeckung und Entfernung von Tumoren, oder bei einer Strahlentherapie wird eine Gewichtsänderung oder unterschiedliche Positionierung des Patienten automatisch korrigiert. Auch die Hersteller von Beatmungsgeräten denken über eine Softwarelösung nach, die den Atemfluss anhand von nur jeweils zwei Bildern (Einatmen/Ausatmen) darstellen und kontrollieren kann.

(rwe)

Lübecker Studien zur Gesundheitsökonomie

Im Gesundheitssystem spielen ökonomische Fragen eine immer größere Rolle. An der „Industrie-in-Klinik-Plattform Lübeck“ engagieren sich die Lübecker Gesundheitsökonomen mit ihrer speziellen Kompetenz für Marktanalysen und Technologiebewertung im medizintechnischen Bereich.

Elsner3z2kl

Dr. Christian Elsner (42), Leiter des Zentrums für Gesundheitsökonomie an der UniTransferKlinik des UKSH, Campus Lübeck

Medizinischer Fortschritt kostet Geld. Aus Sicht der Hersteller von medizintechnischen Geräten und klinischen Versorgern ist gerade im deutschen Gesundheitssystem der Kostendruck besonders hoch. „Innovative Medizintechnik muss einfach im System angemessen bezahlt werden, auch in Deutschland, wo die erzielbaren Preise erstaunlich niedrig sind“, fordert Christian Elsner. Der promovierte Arzt und Betriebswirt leitet das Zentrum für gesundheitsökonomische Studien an der UniTransferKlinik. Seine Auftraggeber sind unter anderem mittelständische Hersteller von Medizintechnikprodukten und Kliniken. Sie wollen insbesondere wissen, welche ökonomischen Effekte der Einsatz eines neuen Produktes in der Patientenversorgung hat oder haben könnte. „Es geht heute überall um kosten-nutzen-bewusstes medizinisches Businessplanning“, formuliert Elsner. „Wir bieten hier eine besondere Beratungs- und Begleitungskompetenz in der ökonomischen Folgenbetrachtung von Technologie-Entwicklungen, dem sogenannten Health Technology Assessment, speziell im medizintechnischen Bereich. Bei Bedarf unterstützen wir darüber hinaus auch bei der Entwicklung und Umsetzung von Vertragsmodellen zur Einführung von Innovationen in die Versorgung über das Kostenerstattungssystem der Krankenkassen.“

Beispielsweise haben die Lübecker Experten für einen Hersteller untersucht, welchen ökonomischen Nutzen der Einsatz des „Home Monitorings“, also der telemedizinischen Fernüberwachung per Mobiltelefon oder PC, bei Patienten mit implantiertem Defibrillator bringt. Die daraus resultierende wissenschaftliche Studie wurde in einem angesehenen Fachblatt publiziert. In einer anderen Studie, die in Zusammenarbeit mit einem amerikanischen Unternehmen und dem Lübecker Herzzentrum erstellt und veröffentlicht wurde, ging es darum, die tatsächlichen Gesamtkosten („Total Cost of Ownership“) bei der Verwendung verschiedener Herzklappen-Technologien in der kardiologischen Versorgung vergleichend zu ermitteln.

„Entscheidend ist immer, das Gesamtsystem im Blick zu haben“, erklärt Christian Elsner seinen grundlegenden gesundheitsökonomischen Ansatz, der eine Vielzahl von Regeln und Mechanismen berücksichtigt, um zu wissenschaftlich und praktisch haltbaren Ergebnissen zu gelangen. Dabei helfen den Lübecker Studien-Machern auch die umfassenden Geo- und Markt-Daten, die sie in einer eigens entwickelten Software sammeln und auswerten. Dieser Lübecker „Health Explorer“ stellt zurzeit beispielsweise die Datengrundlage zur Verfügung für eine Marktstudie, die ermittelt, wo sogenannte „Medizinische Versorgungszentren“ in Deutschland ökonomisch sinnvoll betrieben werden können.

(rwe)

Sichere Softwareentwicklung für medizintechnische Geräte

Auf dem Lübecker Hochschulcampus gibt es eine Reihe von forschenden und entwickelnden Informatik-Einrichtungen, die sich mit Medizinprodukte-Entwicklungen befassen und ihr spezielles Know-how in die „Industrie-in-Klinik-Plattform Lübeck“ einbringen. Das Uni-Institut für Softwaretechnik und Programmiersprachen (ISP) arbeitet hier besonders an innovativen Verfahren zur Software-Überwachung, die den Geräteherstellern dabei helfen können, standard- und normenkonforme Produkte schneller in den Markt zu bringen.

Bei Entwicklung und Betrieb von medizintechnischen Geräten spielen Sicherheitsanforderungen eine große Rolle: Fällt zum Beispiel ein Beatmungsgerät während einer Operation aufgrund eines Hard- oder Software-Fehlers aus, ist das für den Patienten sofort eine lebensbedrohliche Situation. Die Hersteller solcher Geräte müssen ihre Produkte daher nach strengen Normen entwickeln, testen und zulassen. Bei jedem dieser drei Schritte auf dem Weg von der Produktidee zum Markt ist die softwareseitige Qualitätssicherung von erheblicher Bedeutung. Das Lübecker ISP unterstützt und berät Geräte-Hersteller in allen Phasen und mit Blick auf den gesamten anfallenden Datenverarbeitungsprozess. Zum Einsatz kommen hier neben klassischen Testmethoden auch innovative (agile) Software-Entwicklungsmethoden, mit deren Hilfe die zu entwickelnden, zu testenden und zuzulassenden Geräte deutlich schneller vollständig normenkonform und damit marktreif gemacht werden können.

LeuckerISP_3z2kl

Professor Martin Leucker vom ISP bei der Arbeit an einer Monitoring-Software

Technisch geht es dabei zum Beispiel darum, Fehlerfreiheit möglichst so herzustellen, dass sie ohne Eingriffe in die laufenden Softwareprozesse beim Testen und Betreiben eines Gerätes oder Systems auskommt. Denn jeder Eingriff in das Laufzeitverhalten ist selbst ja wieder eine potenzielle Fehler- oder Störungsquelle. Professor Martin Leucker nennt dieses Vorgehen in Anlehnung an den medizinischen Sprachgebrauch eine „nicht-invasive“ dynamische Echtzeit-Analyse nach der griffigen Leitformel: „Run what you test, and test what you run.“

Leucker ist Leiter des ISP und mit seinem Team spezialisiert auf solche neuen Software-Kontroll- oder „Verifikationstechniken“ mittels so genannter „formaler“ Methoden. Dazu gehören unter anderem Programme, die aufgezeichnete Log-Daten einer Geräte-Software automatisch auswerten, auf Fehler analysieren und so „verifizieren“. Eine solche Monitoring-Software aus Lübeck ist bereits bei großen Herstellern im klinischen Einsatz.

„Aber wir sind mit unseren Algorithmen für automatisches Monitoring jetzt noch weiter gekommen: Wir analysieren die Datenverarbeitungsprozesse nicht mehr nur im Nachhinein anhand der ausgewählten, tatsächlich protokollierten Log-Daten. Vielmehr können wir wirklich alle im Betrieb anfallenden Daten in einem Gerät oder in einem vernetzten System begleitend in Echtzeit beobachten und automatisch auswerten“, erklärt der Experte. Die Kontroll-„Monitore“ erzeugen sich Leucker zufolge softwaretechnisch automatisch selbst im System und müssen nicht von außen als Programme oder Skripte eingespielt und wieder abgezogen werden, sodass hier keine neuen Fehlerrisiken entstehen. „Wir greifen dazu einfach mit einem speziellen, sozusagen ‚nicht-invasiven‘ Monitoring-Board auf das zu analysierende Gerät zu. Dieser Ansatz macht das Entwickeln und Testen von Geräten effizienter und damit schneller“, erläutert der 44-Jährige. Das neue System wird gegenwärtig bei einem Hersteller getestet, der seine nächste Geräte-Generation mit einer Anschlussmöglichkeit für das Lübecker Monitoring-Board versehen will.

(rwe)