Archiv für den Monat: Juni 2016

Molekulare Medizin in Lübeck: auf dem Weg zur nichtinvasiven Tumordiagnostik

Am Institut für Molekulare Medizin der Lübecker Universität (IMM) werden diagnostische Verfahren entwickelt, die eine nichtinvasive Tumorerkennung ermöglichen. Das Institutsteam von Professor Georg Sczakiel beteiligt sich mit diesem Thema an der „Industrie-in-Klinik-Plattform Lübeck“.

„Ich kann selbst kein Blut sehen“, verrät Professor Sczakiel lachend. Für ihn sei deshalb schon das bloße Blutabnehmen ein Eingriff in den Körper. Anders bei der Urinprobe: „Die können die Patienten ganz ohne Eingriff abliefern.“ Der Chemiker hat es sich deshalb unter anderem zur Aufgabe gemacht, neuartige uro-onkologische Krankheitsmarker zu finden und in geeignete labordiagnostische Verfahren umzusetzen.

Sczakiel

Dabei setzt Sczakiel auf molekularer Ebene an. Die neuen Marker lassen sich als Moleküle beschreiben, die das aktuelle Geschehen in Tumorzellen beim Blasenkarzinom anzeigen: Ribonukleinsäuren (RNA). „Wir haben zum Nachweis des Harnblasenkarzinoms bereits einen sehr robusten, zuverlässigen RNA-Marker gefunden und arbeiten hierfür an einer Machbarkeitsstudie zur Entwicklung eines standardisierten Verfahrens“, berichtet Georg Sczakiel. Denn nach der Entdeckung so eines chemischen Zeigers geht es in der Labordiagnostik stets darum, sogenannte „SOPs“ (Standard Operating Procedures) zu erarbeiten, mit deren Anwendung in verschiedenen untersuchenden Laboren reproduzierbar dieselben Messergebnisse erzielt werden können. „Neben der chemisch-technischen Stabilisierung der Probe für den Transport geht es dabei auch darum, den Laborarzt oder Laboranten mit klaren Arbeitsanweisungen auszustatten, die den Labortest treffsicher und aussagefähig machen“, so Sczakiel.

Mittelfristig zielt ein solches Vorgehen auf die Entwicklung von präzisen und einfach anzuwendenden nichtinvasiven Testverfahren. Professor Sczakiel kann sich vorstellen, in Zusammenarbeit mit Herstellern von Labordiagnostika schließlich sogar zu einem „Test-Kit“ für den Hausarzt oder für Zuhause zu kommen: „Prinzipiell funktioniert das dann wie der verbreitet genutzte Teststreifen für den Blutzuckertest. So ein Verfahren senkt die psychische Hürde für die Untersuchung erheblich, der Patient macht es freiwillig zur Früherkennung ohne Untersuchungsstress und ohne große Kosten für das Versorgungssystem“, so Sczakiel. Solche Kits könnten dann auch bei der Nachsorge nach einer operativen Tumor-Entfernung verwendet werden. Diese Tests seien zudem erheblich präziser als etwa die übliche, deutlich invasive Harnblasenspiegelung. Sczakiel geht davon aus, dass es langfristig möglich sein wird, solche nichtinvasiven molekularen Verfahren auch zur Diagnose anderer Krankheiten und dann auch zur Medikamentenentwicklung einzusetzen. „Bereits heute ist erkennbar, dass zum Beispiel ein kleines Molekular-Testfilmchen auf der Haut in nicht so ferner Zeit bösartigen Hautkrebs eindeutig von harmlosen Hautveränderungen unterscheiden kann, ohne die betroffene Stelle herauszuschneiden“, blickt der Chemiker voraus.

Bei der Weiterentwicklung solcher Ansätze an der Spitze der internationalen Forschung arbeiten die Lübecker Molekularmediziner mit verschiedenen Herstellern von Labordiagnostika und Laborgeräten zusammen. „Wir haben für derartige Projekte auf dem Lübecker Campus diverse bestens geeignete Einrichtungen, zum Beispiel die Klinisch-Experimentelle Forschungseinrichtung (KEF), ausgestattet mit einer großen Palette von Laborumgebungen und Geräten, wo wir gemeinsam mit Experten anderer Institute, Kliniken und Hersteller praktisch alle Entwicklungsschritte gehen können“, erklärt Sczakiel, der neben seinem Institut auch diese Campus-Einrichtung leitet.

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Die Flow-Spezialisten

Das Labor für medizinische Sensor- und Gerätetechnik der Fachhochschule Lübeck (MSGT) arbeitet eng mit Medizintechnik-Herstellern und Kliniken zusammen, um innovative Verfahren und Komponenten für Medizingeräte zu entwickeln und zu testen. Die Experten fürs Messen und Modellieren im High-end-Labor beteiligen sich gegenwärtig auch am Projekt „Industrie-in-Klinik-Plattform Lübeck“.

KleinFHkl

An neuen Geräten für die Infusion arbeitet Saif Abdul-Karim (Mitte) als Doktorand der Arbeitsgruppe Medizinische Sensor- und Gerätetechnik an der FH Lübeck. Daneben die Professoren Stephan Klein (links) und Bodo Nestler.

Ein Schwerpunktthema des Teams um die Professoren Stephan Klein, Bodo Nestler und Stefan Müller ist das Feld der „Fluidik“, also der Erzeugung, Handhabung, Messung und Kalibrierung von Volumenströmen, wie sie beispielsweise im Bereich der klinischen Infusionstechnik von entscheidender Bedeutung sind. „Wir haben auf diesem Sektor der Flow-Sensorik in den letzten Jahren ein breites und tiefes Know-how samt einer Reihe von modernen Prüfständen speziell für kleine Volumenströme aufgebaut“, berichtet Stephan Klein. „Unser Messplatz zur optischen Kalibrierung und Rückverfolgung von Strömen zwischen 10 und 500 Nanoliter pro Minute ist sogar weltweit einmalig“, ergänzt Professor Nestler.

Das Flow-Team am MSGT hat in bundesweiten und europäischen Förderprojekten unter anderem Messstände für implantierbare Infusionspumpen aufgebaut. Andere Arbeiten sollen es ermöglichen, bis zu acht verschiedene Flüssigkeiten und Medikamente über einen einzigen Katheder zu verabreichen. „So ein Multiplex-Betrieb ist dann in der klinischen Anwendung für den Patienten schonender und schließlich auch ökonomisch effizienter“, erklärt Professor Klein. Gegenwärtig entwickelt das Labor-Team in einem Folgeprojekt gemeinsam mit beteiligten Herstellern ein Mess- und Kalibrierungssystem für bestimmte Flow-Sensoren in Verbindung mit entsprechenden Mikroventilen und Mikropumpen.

Nicht immer müssen bei solchen Aufgaben gleich Prüfstände gebaut werden. Oft reichen zunächst auch umfassende Computersimulationen, um neue Verfahren der Biomedizintechnik zu untersuchen. Am MSGT steht entsprechendes Know-how insbesondere für die fluidischen Systeme, aber auch für thermische, mechanische und optische Eigenschaften und Prozesse zur Verfügung.

Ein anderes wesentliches Arbeitsfeld des MSGT umfasst den Bau so genannter „Kompartimentmodelle“. Darunter verstehen die Experten Test-Modelle, die ein bestimmtes biologisches Teilsystem physikalisch und mechanisch nachbilden und so eine frühzeitige, realistische Validierung von Produktideen ermöglichen. Ein Beispiel für solche „Phantome“ ist ein hier entwickeltes Harnblasenmodell, mit dem die Temperaturentwicklung bei endoskopischen Blasen- oder Prostata-Operationen gemessen werden kann. „Wir haben aber zum Beispiel auch Prüf-Modelle gebaut, mit denen wir die Wirkstoffabgabe beschichteter Implantate testen können“, ergänzt Stephan Klein die Liste der vielfältigen Entwicklungsdienstleistungen des Labors. Dazu gehört ganz aktuell auch die rechnerische Modellierung und technische Entwicklung einer Methode zur Bestimmung von Blutparametern mit optischen Mitteln. „Ziel des Projektes ist es, das Konzept für einen optischen Sensor zur klinischen Blutdiagnostik zu finden“, so der Maschinenbau-Ingenieur.

(rwe)