Elektrische Hirnstimulation als Appetitzügler

Eine Forschungsstudie aus Lübeck zeigt: Nach einer niedrig dosierten elektrischen Stimulation bestimmter Gehirnbereiche haben die Probanden weniger Appetit und reduzieren unbewusst den Verzehr. Entwickelt sich hier eine neue Behandlungsperspektive für Übergewichtige?

OlmMart

Prof. Kerstin Oltmanns und Prof. Thomas Martinetz mit einem mobilen Hirnstimulator

In der modernen Überflussgesellschaft ist Übergewicht längst ein Dauerthema. In diesem Kontext klingt es fast zu schön, um wahr zu sein, was eine international beachtete psychoneurobiologische Studie der Lübecker Universität jetzt gezeigt hat: Wenn man den sogenannten dorsolateralen präfrontalen Kortex in der Großhirnrinde über eine Woche regelmäßig mit niedrigen Stromstärken stimuliert, sinkt bei den Probanden die Kalorienaufnahme um 14 Prozent und sie entwickeln weniger Appetit. „Hier deutet sich eine interessante Perspektive insbesondere für Übergewichtige und Adipositas-Betroffene an“, resümiert Professor Kerstin Oltmanns, die Studienleiterin. „Möglicherweise kann man in einigen Jahren ohne Diät- und Sportprogramm nur mit solchen Strombehandlungen etwas gegen das Übergewicht tun.“ Außerdem weisen laut Oltmanns die bisherigen Daten darauf hin, dass mit der Stimulationstechnik auch der Zuckerspiegel, der Blutdruck und die allgemeine Stimmung verbessert werden können. „Wir setzen grundsätzlich an der Schaltzentrale Gehirn an und nicht an den peripheren Organen, um Behandlungswege bei Krankheiten wie Adipositas, Altersdiabetes oder Bluthochdruck zu finden“, erklärt die Psychoneurobiologin ihre Herangehensweise.

Noch bewegen sich Oltmanns und ihr Team auf dem Feld der reinen Grundlagenforschung. Ihre Erkenntnisse basieren auf einer Studie mit 14 gesunden und nicht übergewichtigen Männern, die alle jeweils nach Stimulation und Scheinstimulation getestet wurden. In einer breiteren Folgestudie will das Forscherteam jetzt herausfinden, ob es mit der Strombehandlung auch bei Übergewichtigen tatsächlich zu einer Gewichtsabnahme kommt. „Für die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Folgestudie veranschlagen wir rund ein Jahr“, erzählt Oltmanns.

Dabei werden die jeweils individuellen Voraussetzungen der übergewichtigen Probanden berücksichtigt, etwa Größe, Gewicht und Blutzuckerspiegel. „Es geht darum, eine individuell möglichst effiziente Stimulationstechnik zu finden“, erklärt Professor Thomas Martinetz. Der Direktor des Instituts für Neuro- und Bioinformatik entwickelt in diesem Projekt die geeigneten Algorithmen und Protokolle für den individualisierten Behandlungsablauf.

Gemeinsam haben die Forscher mit diesem Projektansatz bereits den Sonderpreis „BioMed“ beim Ideenwettbewerb 2014 der Wirtschaftsförderung und Technologietransfer Schleswig-Holstein GmbH gewonnen. Und über eine gemeinsame Unternehmensgründung denken sie auch schon nach: „Wenn die Studienergebnisse unseren positiven Erwartungen entsprechen, wollen wir versuchen, mit geeigneter Software ausgestattete Stimulationsgeräte für den Einsatz in der Arztpraxis oder zu Hause zu entwickeln und mit Industriepartnern auf den Markt zu bringen“, blickt Thomas Martinetz voraus.

 

(rwe)