Archiv für den Monat: November 2013

Zukunftsaufgabe Energie-Speicher-Management

Hier ist die heutige Blog-Rätselfrage: Was haben ein Routenplaner speziell für Elektro-Autos und das Energiespeichersystem eines Plus-Energie-Hauses gemeinsam?

Die Lösung des Rätsels ist einfach: Beide Systeme können nur effektiv und effizient arbeiten, wenn die Überwachung der Speichereinheiten (Batterien) gut funktioniert und man daher mit der gespeicherten Energie gut planen kann. Dabei fallen riesige Datenmengen an, die sinnvoll verarbeitet werden müssen, um aus ihnen geeignete Rückschlüsse für die Optimierung des jeweiligen Systems zu ziehen.

Diese einfach klingende Lösung  ist allerdings ein ziemlich komplexer Auftrag für die Leute, die solche Überwachungs- und Optimierungssysteme entwickeln. An der Lübecker Universität tüfteln daran seit 2009 die Software-Spezialisten am Institut für Software-Engineering und Programmiersprachen (ISP).

Das Routenplanungssystem speziell für E-Autos, das die Lübecker entwickeln, trägt den bezeichnenden Namen „Green Nav“ (Grüne Navigation). In diesem Projekt gilt es, möglichst genaue Reichweitenprognosen für bestimmte Fahrzeuge auf bestimmten gefahrenen Wegen zu machen.

Die Batterien sind ja nach wie vor der Engpass des Systems E-Auto. Aber es ist möglich, die Reichweite zu erhöhen, wenn man die gefahrene Strecke so plant, dass es zum Beispiel immer mal wieder bergab geht, denn dann werden die Batterien wieder geladen. Wenn es hingegen ständig bergauf geht, wird nur Strom verbraucht und die Reichweite verringert sich deutlich.

Die Routenplanungssoftware hat hier also viele Parameter zu berücksichtigen, vor allem die Eigenschaften des einzelnen Fahrzeugs mit seinem speziellen Batterie-System, die Höhenprofile möglicher Strecken und natürlich die überhaupt möglichen Wege. Das Kartenmaterial hierfür kommt aus dem Internet-Projekt Open-Street-Map. Die speziellen Algorithmen zur schnellen Auswertung der vielen anfallenden Daten haben die Lübecker Software-Ingenieure entwickelt.

Das System funktioniert im Labortest bereits für eine Handvoll Fahrzeug-Typen und für einige Strecken im Allgäu und in Norddeutschland. „Mittelfristig wollen wir nicht nur Deutschland im Routenplaner abdecken, sondern das System auch um die Möglichkeit des Flotten-Managements bis hin zum Umdirigieren von Fahrzeugen während der Fahrt erweitern“, erläutert Martin Leucker, Direktor des ISP und Erfinder der zugrundeliegenden Algorithmen, die nächsten Ziele.

Parallel dazu arbeitet Leucker mit seinem Team – und natürlich seinen Algorithmen – daran, die Speicherschränke von Plus-Energie-Häusern zu überwachen. In einem von der Energie- und Klimastiftung Schleswig-Holstein geförderten Projekt gemeinsam mit dem Batterie-Hersteller ECC Repenning aus Geesthacht arbeiten die Software-Forscher hier mit noch größeren Datenmengen, die beim „Monitoring“ eines Speicherschrankes voller Lithium-Ionen-Batterien anfallen, in denen beispielsweise die selbst erzeugte Energie aus einer Photovoltaik-Anlage zum Eigenverbrauch gespeichert wird.

Auch hier geht es um sinnvolle Auswertungen zur Systemsteuerung/-optimierung, dann auch um die Ausgabe von Alarmen (zum Beispiel bei einer defekten Batterie), zunächst und im Kern aber um den Umgang mit der schieren Datenmenge, also um Technologie-Anwendungen wie verteilte Datenbank-Systeme, automatische Daten-Komprimierung und andere. Das hier zu gewinnende Know-how im „Big-Data-Management“ will Martin Leucker später auch auf andere Anwendungsfelder übertragen. „Wer weiß, vielleicht gründe ich dafür mal eine eigene Beratungsfirma“, lacht der 42-jährige Professor.

Hier erläutert Martin Leucker seine „grüne Navigation“ im Film:

http://www.youtube.com/watch?v=6vuHoHBfLp8

Sie-sorgen-dafuer-dass-die-Batterie-laenger-haelt_ArticleWide  Leucker

(rwe)

Kleine Gesten, große Wirkungen: Vom natürlichen Umgang mit Computern

 

gestigon-Outdoor-Infopanel

[Geschäftsführer Sascha Clement demonstriert Wirtschaftsminister Meyer (rechts) ein gestigon-outdoor-panel]

Frage: Wie „natürlich“ gehen wir als Bediener mit unseren Computern im Alltag um? Etwa wenn wir sie mit einem „Maus“ genannten indirekten Zeigegerät steuern oder mit einem „Touch-Pad“, das wenige vom Nutzer gelernte Fingergesten-Befehle weitergeben kann,  oder mittels „Touch(en)“, also dem Drücken von Symbol-Bildern auf einer Monitor-Oberfläche?

Antwort: Wir könnten uns das wirklich einfacher, direkter und insofern „natürlicher“ vorstellen! Insbesondere ohne all die mehr oder weniger mühsam zu erlernenden (Hand-) Bewegungen, die das Steuern der Geräte überhaupt erst ermöglichen.

Der Weg zu einer deutlich natürlicheren Bedienung ist offen, sobald der Computer in der Lage ist, die Intention des Nutzers aus seinen normalen Körpergesten oder seiner Körpersprache insgesamt zu erkennen und richtig zu interpretieren, sodass die angesteuerte Anwendung die gewünschten Befehle ausführt. Dafür gibt es seit einigen Jahren 3D-Kameras, die inzwischen so klein sind, dass sie zum Beispiel in den Display-Rahmen eines Laptops passen. In großem Maßstab arbeiten solche Kameras zum Beispiel in der aktuellen Microsoft-Spielekonsole – die Bewegungssteuerungstechnik heißt hier „Kinect“.

Entscheidend für den Erfolg so eines Steuerungssystems ist nun, dass es auf dem Weg von der Nutzer-Geste zur Reaktion der Anwendung keine für den Nutzer wahrnehmbare Verzögerung gibt – und das möglichst auch bei eher kleinen Prozessoren wie etwa im Auto-Navigationssystem. Hier kommt die besondere Leistung der Firma Gestigon vom Lübecker Technologie-Campus im Hochschulstadtteil ins Spiel: Die Software-Entwickler haben eine so genannte „Middleware“ geschaffen, das heißt: patentierte Algorithmen zur Gesten- und Skeletterkennung aus den Rohdaten der Kamera und zu deren blitzschnellen Interpretation und entsprechenden Weitergabe an die Anwendung. Das Prinzip funktioniert auch bei kleinen Gesten etwa mit einem einzelnen Finger (ganz anders als bei einem Mitbewerber, dessen Systeme man mit ganzen Armschwüngen dazu bewegen muss, das Gewünschte zu tun).

Die Gestigon-Technologie setzt auf die Mustererkennung nach dem Prinzip der „selbstorganisierenden neuronalen Karten“, die am Institut für Neuro- und Bioinformatik der Lübecker Universität schon seit mehr als einem Jahrzehnt erforscht werden. Die Lübecker Lösung braucht nur relativ wenige „gute“ Pixel in den Kamera-Rohdaten, um daraus im Abgleich mit hinterlegten Skelettmodellen (bzw. deren wichtigsten Knotenpunkten – bei einer Hand sind es zum Beispiel 37 Punkte) die aktuelle, individuelle Geste erfolgreich zu erkennen. Die Methode bringt bei geringerem Aufwand schnellere und präzisere Ergebnisse als die Ansätze der Mitbewerber weltweit. Die Software beansprucht dann weniger Rechen- und Speicherleistung als der Mitbewerb, der mit großen hinterlegten Datenbanken arbeitet. So kann das Gestigon-Produkt flexibler auch im Massenmarkt kleinerer, robuster eingebetteter Systeme (etwa im Auto) eingesetzt werden.

Das seit 2011 bestehende Unternehmen Gestigon hat sich aus dieser Forschung heraus entwickelt. Heute sind hier 16 junge und jung gebliebene Entwickler dabei, den Weltmarkt für Gesten-Steuerungsmiddleware aufzurollen. Sascha Klement (34), Mitgründer und Miterfinder der Technologie, beschreibt die strategischen Ziele des jungen Unternehmens: „Wir konzentrieren uns in der Markt-Einführungsphase auf die Bereiche Consumer Electronics und Automotive. In diesen Bereichen bieten wir den Herstellern etwa von Laptops oder Navis unsere Middleware im Lizenzgeschäft an.“ Der kaufmännische Geschäftsführer Moritz von Grotthuss (43) berichtet von bestehenden Kontakten zu großen Industrie-Anbietern weltweit: „Auf dieser Basis werden wir aller Voraussicht nach in den nächsten Jahren rasant wachsen.“

Gerade noch auf dem Lübecker Campus – demnächst in Ihrem Auto: Eine 3D-Kamera mit der Gestigon-Software, die erkennt, wer sich da auf den Fahrersitz setzt – und den Sitz sofort entsprechend einstellt. Oder bei der Arbeit mit Ihrem Laptop: Das Gerät erkennt, wann es in den Ruhezustand gehen soll (zum Beispiel, wenn Sie sich zurücklehnen oder aufstehen) oder in welches Formular-Feld der Cursor in der Textverarbeitung springen soll, ohne dass Sie die zehn Finger von der Schreibtastatur nehmen – oder doch: einen brauchen Sie schon, der mit kleiner Geste, kaum abgehoben von seiner Ausgangsposition über dem „J“ oder dem „G“, das gewünschte Feld anvisiert – und dann auch am Computer endlich wieder zurecht „Zeige-Finger“ heißt.

(rwe)

Mehr Info: gestigon.de

Filme von Anwendungen:

http://www.youtube.com/watch?v=piy1dy5-wpE
http://www.youtube.com/watch?v=NW_vSDdPg-M

http://www.youtube.com/watch?v=sHbLgC_-hV0